10 Fragen an den VDI: Wir schauen hinter die Kulissen der Ausschüsse

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Damit Ladungssicherung in der Praxis sicher und effizient umgesetzt wird, gibt es zahlreiche Normen und Richtlinien – nicht nur zu diesem Thema, sondern im Grunde zu allen technischen Bereichen im Alltag. In die Entwicklung dieser Vorgaben fließen viel Expertise und Erfahrung von Fachleuten ein, die in Gremien und Ausschüssen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) arbeiten. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen dieser Arbeit und sprechen über Dampfkessel, Abdecknetze und wie wichtig ein Konsens als Lösung ist.

Im Interview: VDI-Chef Simon Jäckel und LaSi-Experte Michael Girbes

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Simon Jäckel, Bild: VDI e.V.

Im Interview spricht Fachjournalist René Wagner mit Diplom-Ingenieur Simon Jäckel, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences, sowie mit Ladungssicherungsexperte Michael Girbes. Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen wirken sie in den Ausschüssen daran mit, die Sicherheit im Straßenverkehr und in der Logistik weiter zu verbessern.

Simon und Michael, stellt euch bitte kurz vor. Was genau sind eure Tätigkeiten im VDI?

Simon Jäckel: Ich bin Diplom-Ingenieur und seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VDI e.V. Neben zahlreichen weiteren Technikthemen bin ich auch für das Thema Ladungssicherung zuständig, also die Richtlinienreihe VDI 2700.

Michael Girbes gibt Seminare zu Ladungssicherung, Gefahrgut und Qualitätsmanagement.
Michael Girbes

Michael Girbes: Seit 2007 habe ich mich auf das Thema Ladungssicherung spezialisiert, gebe Seminare und Workshops und bin u.a. Sachverständiger für die Ladungssicherung im Straßenverkehr. Beim VDI habe ich die Ehre, aktiv an drei Richtlinien mitzuwirken und im Lenkungsgremium 308.2 tätig zu sein. Besonders stolz bin ich darauf, den Ausschuss für die VDI-Richtlinie 2700 Blatt 16, d.h. Ladungssicherung in Fahrzeugen bis 7,49 t zGm, leiten zu dürfen.

Der VDI wurde 1856 gegründet, das ist also schon gut 170 Jahre her. Wie nehmt ihr den Verein im Laufe der Geschichte wahr? Sicher gibt es Unterschiede in der Arbeit zwischen damals und heute.

Simon Jäckel: Der VDI e.V. war schon immer ein Sprecher der Technik und des Ingenieurberufs. In den Anfangszeiten stand der Austausch zwischen Ingenieuren im Fokus, um die Industrialisierung voranzutreiben. Früher war die Arbeit des VDI stärker auf Standardisierungen in aufkommenden Industrien und Technologien fokussiert, da damals viele neue technische Herausforderungen aufkamen. So handelte die erste VDI-Richtlinie von Dampfkesseln.

Heute geht es nicht mehr nur um die Entwicklung von anerkannten Regeln der Technik, sondern auch um die Vernetzung, Weiterbildung und die Gestaltung von Zukunftstechnologien. Der Wandel zeigt sich auch in der zunehmenden Digitalisierung und den interdisziplinären Anforderungen an die Arbeit. In der Zeit vor den Möglichkeiten, die ein PC heutzutage bietet (und auch lange vor meiner Zeit im VDI), wurden auf den Sitzungen noch Wortprotokolle geführt und die Ergebnisse später mit der Schreibmaschine abgetippt, ausgeschnitten und die Schnipsel auf die letzte besprochene Version der Richtlinie geklebt. Heutzutage, auch dank Online-Meetings, geht die Erarbeitung von Richtlinien natürlich viel einfacher und deutlich schneller.

Michael Girbes: Ich habe schon bis 2011 an der Ausarbeitung von Blatt 3.3 (Netze) mitgearbeitet. Der Unterschied heute zu damals ist enorm: Wie Simon schon sagt, hat die Arbeit durch die Online-Meetings enorm an Effizienz gewonnen. Besonders hilfreich ist das, um die Reisekosten im Rahmen zu halten und nicht für eine Sitzung quer durch die Republik reisen zu müssen.

600 Ausschüsse mit mehreren tausend Experten

Wie viele Richtlinien-Ausschüsse mit wie vielen Expertinnen und Experten gibt es, und was wird dort beraten und entschieden?

Simon Jäckel: Der VDI hat rund 600 Gremien, die von mehreren tausend Expertinnen und Experten aus verschiedenen Branchen besetzt sind. Der Arbeitsmodus unseres Vereins ist die ehrenamtliche Gemeinschaftsarbeit. In diesen Ausschüssen wird über die Entwicklung und Anpassung von VDI-Richtlinien beraten, die für die Praxis wegweisend sind. Ziel ist es, durch den Austausch von Fachwissen und Erfahrungen praxisnahe und zukunftsfähige Empfehlungen bzw. Anforderungen zu entwickeln.

Michael Girbes: Im Bereich der Ladungssicherung, im Rahmen der VDI 2700, gibt es derzeit 19 verschiedene Blätter, von denen einige sogar Anhänge haben. In den jeweiligen Ausschüssen arbeiten 10 bis 20 Experten aus verschiedenen Bereichen zusammen: Anwender, Hersteller von Ladungssicherungshilfsmitteln und Fahrzeugen, Prüfinstitute sowie Berater und Sachverständige. Die Herausforderung besteht darin, diese unterschiedlichen Interessen zu vereinen und gleichzeitig eine technische Regel zu entwickeln, die auch für Laien verständlich ist. Dies ist ein besonderes Anliegen meinerseits in den Ausschüssen. Dabei darf die Sicherheit jedoch niemals aus den Augen verloren werden. In der Regel ziehen alle an einem Strang und es wird ein guter Konsens gefunden.

Warum ist der VDI wichtig für die Gesellschaft? Gerade im Hinblick auf die Ausschüsse.

Simon Jäckel: Der VDI trägt durch seine Ausschüsse maßgeblich zur technischen Weiterentwicklung und in vielen Technikfeldern auch zur Sicherheit bei. Technische Regeln sind entscheidend, um Innovationen zu fördern und gleichzeitig hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Ohne den VDI würden viele technische Fortschritte unkoordiniert und uneinheitlich ablaufen, was zu Sicherheitsrisiken und einem Wettbewerbsnachteil für die deutsche Industrie führen könnte.

Michael Girbes: Zusätzlich zu den internationalen Normen stellen die VDI-Richtlinien 2700 ff die anerkannten Regeln der Technik in der Bundesrepublik Deutschland dar. Die Anwendung dieser Regeln wird ausdrücklich in der StVO gefordert. In § 22 der StVO ist die Ladungssicherung verbindlich geregelt.

Zwei Beispiele für Verbesserungen in der Ladungssicherung

Habt ihr konkrete Beispiele aus verschiedenen Ausschüssen, wie sich eure Empfehlungen positiv auf den technischen Alltag in Deutschland auswirken?

Simon Jäckel: Ein Beispiel aus dem Bereich der Ladungssicherung zeigt, wie durch die Arbeit des VDI eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht wurde. Empfehlungen zur korrekten Sicherung von Ladungen haben dazu geführt, dass Unfälle durch falsch gesicherte Ladungen deutlich zurückgegangen sind. Dies betrifft sowohl den Schwerlastverkehr als auch den Alltag auf den Straßen, da solche Maßnahmen sowohl Personen als auch Sachgüter schützen.

Aber auch in vielen weiteren Themenfeldern, wie z.B. in der Luftreinhaltung, der technischen Gebäudeausstattung oder der Medizintechnik arbeiten wir an Themen, die absolut alltagsrelevant sind.

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Die Definition eines Abdecknetzes ist jetzt eindeutig erläutert.

Michael Girbes: Mit dem Ausschuss für Blatt 3.3 wurden Standards für Netze geschaffen, die eine schnelle und klare Umsetzung ermöglicht haben. So ist beispielsweise die Definition eines Abdecknetzes und eines Ladungssicherungsnetzes eindeutig erläutert, wodurch es zu keiner Vermischung mehr kommen sollte. Siehe dazu auch meinen Artikel. Auch in weiten Teilen Europas werden die VDI-Richtlinien 2700 ff anerkannt oder übernommen.

Beispiel Ladungssicherung: Wie oft treffen sich die Mitglieder? Was sind die Voraussetzungen für die Teilnahme?

Simon Jäckel: Die Ausschussmitglieder treffen sich in der Regel mehrmals im Jahr, um die aktuellen Entwicklungen zu besprechen und Richtlinien zu überarbeiten oder neue Empfehlungen zu erarbeiten. Die Teilnahme setzt selbstverständlich tiefes Fachwissen und Erfahrung im Bereich der Ladungssicherung voraus. Wir legen dabei großen Wert auf die Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen, um praxisnahe Lösungen zu entwickeln.

Michael Girbes: Im Ausschuss für Blatt 16, den ich leiten darf, haben wir uns in diesem Jahr bereits viermal getroffen, um die einzelnen Punkte der Richtlinie zu besprechen. Die Arbeit ist stets konstruktiv und zielgerichtet. Dank Simon Jäckel werden wir regelmäßig an unsere Aufgaben für die nächste Sitzung erinnert, was uns ermöglicht, kontinuierlich und fokussiert an unseren Zielen zu arbeiten.

Simon, bitte gib uns einen Blick hinter die Kulissen: Wie laufen solche Beratungen ab? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Empfehlungen öffentlich werden?

Die Beratungen laufen in einem strukturierten Rahmen ab. Fachleute bringen ihre Fachkenntnisse ein, und es wird intensiv diskutiert, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen – in der Welt der Regelsetzung Konsens genannt. Bevor eine Richtlinie veröffentlicht wird, muss sie von allen beteiligten Parteien abgesegnet werden. Danach erfolgt die Veröffentlichung einer Entwurfsfassung, gegen deren Inhalte die interessierte Öffentlichkeit und die Fachwelt einsprechen kann. Nach der Behandlung der Einsprüche durch den Ausschuss wird dann die finale Richtlinie veröffentlicht.

Durch das Konsensprinzip bei der Erarbeitung der Inhalte mit allen interessierten Kreisen und der Möglichkeit der Einsprüche sichern wir ab, dass das Arbeitsergebnis, also die fertige VDI-Richtlinie, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht im Interesse Einzelner wirkt.

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Landingpage des VDI zur Ladungssicherung (Screenshot)

Wenn zwei Experten für Ladungssicherung über ein Thema diskutieren …

Ist es manchmal schwierig, zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen? Kommt es manchmal auch zu hitzigen Diskussionen?

Simon Jäckel: Nur sehr selten. Ab und an kann es schwierig sein, zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen, da unterschiedliche Branchen und Interessen aufeinandertreffen. Es kommt gelegentlich zu hitzigeren Diskussionen, aber diese sind notwendig, um alle Perspektiven abzuwägen und zu einer tragfähigen Lösung zu gelangen. Im Normalfall sind sich die Ausschussmitglieder über die grundsätzliche Marschrichtung einig und es herrscht in der Mehrheit der Termine freundliche Einigkeit. Am Ende wird immer nach dem Konsensprinzip gearbeitet, um die bestmögliche Lösung zu finden.

Michael Girbes: Natürlich kommt es vor, dass Meinungsverschiedenheiten entstehen. Jemand hat einmal gesagt: „Wenn zwei Experten für Ladungssicherung über ein Thema diskutieren und am Ende einer Meinung sind, ist mindestens einer von beiden kein Experte.“ Ich finde es wichtig und richtig, dass verschiedene Sichtweisen offen diskutiert werden – auch gerne mal hitzig oder intensiv. Am Ende muss jedoch immer eine gemeinsame Richtung aus dem jeweiligen Ausschuss hervorgehen.

Bitte ergänzt den Satz: „Ohne den VDI…“

Simon Jäckel: … würde Deutschland in vielen technischen Bereichen ohne klare technische Vorgaben arbeiten, was zu einem Rückstand in der Innovationskraft und zur Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit führen würde.

Michael Girbes: … wäre der Stand der Technik weit vom heutigen Stand entfernt!

In Bezug auf den VDI und die Arbeit in den Ausschüssen: Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Simon Jäckel: Für die Zukunft wünschen wir uns, dass der VDI weiterhin eine führende Rolle in der Gestaltung von Technologie und Innovation spielt. Insbesondere bei den großen Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Mobilität und Logistik oder der Gesundheit müssen die Ausschüsse aktiv bleiben und ihre Expertise einbringen, um Deutschland als Technologie-Standort zu stärken.

Michael Girbes: Ich wünsche mir, dass die Arbeiten so konstruktiv bleiben und immer den richtigen Spagat zwischen der Theorie und der Praxis finden.

Danke für das Interview!

VDI mit eigener Landingpage zur Ladungssicherung

Ein Tipp zum Schluss für die Leserinnen und Leser: Unter der Adresse www.vdi.de/ladungssicherung hat der VDI eine eigene Landingpage zum Thema eingerichtet – hier sind alle wichtigen Informationen zur Ladungssicherung, zur Richtlinienreihe, Neuigkeiten u.a. zentral erreichbar.

Wie ist Ihre Meinung zur Arbeit des VDI oder auch konkret zu Normen und Richtlinien für Ladungssicherung? Schreiben Sie uns! Gerne als Kommentar zu diesem Beitrag oder als Nachricht über unser ➡ Kontaktformular. Herzlichen Dank!

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Was in der Ladungssicherung wichtig ist, erklären unsere Experten in den ➡ Seminaren zum Thema Ladungssicherung.

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